Der Artikel ist in der Broschüre „Kinder- und Jugendrechte ernst nehmen und stärken“ der eaf bayern erschienen.*
Wie die Umsetzung von Kinderrechten im Kita-Alltag gelingen kann
Kinderrechte im gesellschaftlichen Kontext
Die Kita kristallisiert sich immer deutlicher als wichtiger Bildungs-, Lebens- und Schutzraum für Kinder heraus. Ebenso benötigen Familien die Kita, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können. Wie gehen die Träger von Kitas sowie die Erzieher*innen mit den verschiedenen Bedürfnissen von Kindern, Eltern und Fachkräften in Bezug auf Kinderrechte – eingebettet in gesellschaftliche Anforderungen – um? Aus fachlicher Perspektive wird eine große Diskrepanz zwischen dem Umgang mit Kinderrechten bei politischen Entscheidungen und den tatsächlich gelebten Rechten der Kinder in der Gesellschaft wahrgenommen. In der Praxis geht die Schere zwischen der Umsetzung der Rechte der Kinder und dem Reagieren auf die Ansprüche und Grenzen der Eltern weit auseinander. Hier einige Überlegungen dazu aus Kitasicht:
Das Kind als Rechtssubjekt
Vor über 30 Jahren wurden die UN-Kinderrechte ins Leben gerufen. Sie gelten für jedes Kind bis 18 Jahre. Die Kinderrechte beruhen auf vier großen Säulen. Es handelt sich dabei um folgende Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte:
- Niemand soll diskriminiert werden.
- Jeder hat das Recht auf Leben (siehe Janusz Korczak).
- Kinder sollen beteiligt werden.
- Kindeswohl hat immer Vorrang.
Dabei sind Kinder Rechteträger, Erwachsene Pflichtenträger. Das bedeutet, Erwachsene sind dazu verpflichtet, Kindern zu ermöglichen, ihre Rechte zu kennen und umzusetzen. Die Verantwortung, hierfür Räume zu schaffen, liegt klar in den Händen der Erwachsenen (siehe Jesper Juul).
Dies klingt selbstverständlicher als es tatsächlich ist.
Der Kinderrechteansatz im Kita-Alltag
Betrachten wir die Schlüsselsituationen für ein Kind im Laufe eines Kita-Tages: Die erste Begegnung am Morgen mit den Fachkräften, das Verabschieden von den Eltern, das freie Spiel, das Freispiel in Bildungsräumen, die Gestaltung der Mahlzeiten, Körperpflege und kindliche Sexualität, Rückzugsmöglichkeiten und Ruhepausen, die Verabschiedung am Nachmittag.
Fachkräfte und Eltern nehmen Kinder als eigenständige Personen wahr, beobachten und spüren, was das einzelne Kind braucht.
Worauf kommt es an? Woran merkt das Kind, dass seine Rechte gewahrt werden? Das Kind erfährt von Anfang an sein Recht auf individuelle Teilhabe, ist Experte seiner Entwicklung und gestaltet diese aktiv mit. Das Kind spürt: „Ich gehöre dazu. Ich werde gefragt. Ich werde gehört. Ich werde ernst genommen, mit dem, was mir wichtig ist und mich beschäftigt.“
Mit anderen Worten: Fachkräfte und Eltern verhalten sich feinfühlig (siehe Mary Ainsworth) gegenüber Kindern. Sie nehmen Kinder als eigenständige Personen wahr, sie nehmen sich zurück, beobachten und spüren, was das einzelne Kind braucht, nehmen die Signale wahr und reagieren adäquat darauf. Somit geben sie den Kindern Raum, sich selbst mit ihren eigenen Bedürfnissen wahrzunehmen und auszuprobieren. Fachkräfte verlassen das Akteur*innen-Sein. Dies bedeutet nicht, die Kinder sich selbst zu überlassen – im Gegenteil: Partizipation, oft missverstanden als laissez-fairer Erziehungsstil, braucht hohe Achtsamkeit. Denn es gilt immer wieder, das einzelne Kind in den Blick zu nehmen und einen situativ angemessenen Rahmen zu schaffen, der das Kind weder über- noch unterfordert.
Die Kita versucht seit Jahrzehnten den Kinderrechteansatz zu leben. Doch das alleine reicht nicht aus. Es braucht entsprechende Rahmenbedingungen wie z. B. ausreichend qualifiziertes Personal, das geeignete und vor allem partizipative Interaktionsqualität in den Einrichtungen ermöglicht, um Zeit zu haben, den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kinder zu begegnen.
Kitas sind die Orte, wo sich Fachkräfte, Eltern und Kinder täglich begegnen
Die Pädagog*innen unterstützen die Kinder, damit sie sich ihrer Rechte bewusstwerden und sich auch an anderen Orten dafür einsetzen können. Sie üben mit den Kindern, was es bedeutet, sich ernst zu nehmen, eigene Bedürfnisse auszudrücken, eigene Grenzen und die von anderen zu respektieren. Sie schaffen Freiräume, damit Kinder sich darin ausprobieren und ihre Fähigkeiten entwickeln können. Dies bedeutet einen individuellen Lernprozess für das Kind, für die Pädagog*innen ein sich immer wieder Einstellen und Achtsamkeit, was das einzelne Kind im Augenblick braucht. Gleichzeitig braucht es Einfühlung und ein Mitnehmen der Eltern bei diesem Lernprozess. Nur wenn Pädagog*innen diese Haltung und Offenheit sowohl den Kindern als auch den Eltern gegenüber mitbringen, können sich Kinder und Eltern in ihrer Individualität ernst genommen fühlen und Kinder sich zu starken Kindern entwickeln.
Cornelia Blendinger ist Leiterin der Stabsstelle Innovation und Organisationsentwicklung, Alexandra Habenicht-Riedisser ist Fachberaterin für Kindertageseinrichtungen beim evKITA.
* Die eaf bayern (Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen in Bayern) hat eine Publikation mit dem Titel „Kinder- und Jugendrechte ernst nehmen und stärken – Grundlagen. Statements. Perspektiven“ herausgegeben. Die Broschüre ist im November 2021 erschienen und kann über die Homepage der eaf bayern unter www.eaf-bayern.de/materialien kostenlos - auch in größerer Stückzahl – bestellt werden. Hier finden Sie die Broschüre als pdf-Datei zum Download.