Der Begriff Diversität (engl. diversity, lat. diversitas) bedeutet Vielfalt und Vielfältigkeit. Wir sind alle verschieden, das ist das „Normale“. Wir unterscheiden uns in Aussehen, Herkunft, Vorlieben oder den Erfahrungen die wir gemacht haben. Es gibt in der Gesellschaft eine immer größer werdende individuelle, soziale und kulturelle Vielfalt - geprägt von Globalisierung, Migrations- und Fluchtbewegungen, Binnenmobilität oder der demographischen Entwicklung von Gesellschaft. Diese Komplexität löst bei vielen Menschen eine Abwehrhaltung aus und ein Bedürfnis nach Einfachheit kann entstehen. Das erleben wir derzeit an vielen Stellen in der Gesellschaft. Aber ein starkes Schubladendenken kann Ausgrenzung, Abgrenzung, Diskriminierung zur Folge haben – und gerade in Deutschland haben wir eine besondere Verantwortung dafür, dass wir uns die Folgen vor Augen führen, die dies haben kann.
Was bedeutet Diversität?
Carolin Häberlein stellte in ihrem Vortrag mehrere Kerndimensionen von Diversität vor, die nahezu unveränderbar sind: Dazu gehören ethnische Herkunft & Nationalität, Geschlecht und geschlechtliche Identität, Alter, soziale Herkunft, Behinderung/chronische Krankheit, Religion & Weltanschauung, sexuelle Orientierung und Identität. Darüber hinaus gibt es flexiblere Eigenschaften wie z.B. Familienstand, Einkommen oder Berufserfahrung. In diesen Beschreibungen oder Zuschreibungen finden sich Unterschiede von Menschen, die meist mit bestimmten Privilegien oder Diskriminierungen verbunden sind.
Dabei gehören Menschen nicht nur zu einer Gruppe, sondern können meist mehrfach zugeordnet werden. Wenn wir uns auf den Hort-Alltag beziehen, kommen bei Kindern noch Faktoren hinzu wie die Qualität der Bindungserfahrung, Herkunftsfamilie, Erfahrungen mit Gleichaltrigen oder Entwicklung/Sozialisation.
Diversitätsansätze beleuchten soziale Ungleichheiten und Hierarchien. Sie sollen machtkritisch sein und strukturelle Gegebenheiten mit bedenken, nicht nur auf die einzelnen Menschen schauen. „Diversitätsbewusste pädagogische Arbeit geht mit Demokratieförderung und Antidiskriminierungsarbeit einher, denn jede Demokratie ist nur so stark wie ihr Umgang mit Minderheiten und mit Vielfalt“, so Häberlein.
Mehr als nur „nice to have“
Häberlein stellte in ihrem Vortrag die rechtlichen Grundlagen vor, die für die Gesellschaft aber auch für den pädagogischen Alltag gelten. Freiheit und gleiche Rechte für alle Menschen – darauf haben sich die Vereinten Nationen bereits 1948 geeinigt. Seitdem ist noch einiges hinzugekommen – vom Grundgesetz (Artikel 3 Abs. 3) bis hin zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG §1).
Diskriminierungsverbot und Chancengleichheit sind in der UN-Kinderrechtskonvention (Art. 2) verankert. Gesetzliche und fachliche Grundlagen für den pädagogischen Alltag zu den Themen Diversität, Gleichberechtigung, Anti-Diskriminierung und geschlechtergerechte Erziehung finden sich im BayKiBiG, dem Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan (BayBEP) sowie in den Bayerischen Leitlinien für die Bildung und Erziehung von Kindern bis zum Ende der Grundschulzeit. Darin heißt es z. B.: „Akzeptanz von Verschiedenheit sowie der Umgang mit Vielfalt sind gesellschaftliche Verpflichtung und Bereicherung.“ (S. 32)
Diskriminierung bedeutet immer einen nachteiligen Effekt für eine betroffene Person – ohne sachlichen Grund oder Rechtfertigung – auch wenn sie nicht vorsätzlich oder böswillig stattfindet. Dabei kann Diskriminierung sowohl von einzelnen Personen ausgehen als auch von Strukturen oder Institutionen und hat oft einen historischen Bezug Wenn ein Mensch aufgrund von mehreren unveränderlichen Eigenschaften diskriminiert wird und sich diese Diskriminierungsformen überschneiden, verstricken bzw. verstärken, spricht man von Intersektionalität.
Diskriminierung wird oft verharmlost oder sogar verleugnet – mit schwerwiegenden Folgen für die Kinder und die Gemeinschaft. Antidiskriminierung braucht die Anerkennung von Diversität und die Wertschätzung aller Menschen in ihrer Vielfalt und Eigenheit, das macht Häberlein in ihrem Vortrag sehr deutlich. Eine Kern-Herausforderung sieht sie darin, dass wir Hierarchien und eigene Vorurteile normal finden. Beispielsweise beim Thema Geschlechterstereotype: Die werden oft als Normalität betrachtet und nicht als sozial konstruiert („Mädchen sind halt so“).
„Wenn Kinder über Diskriminierungserfahrungen schweigen, fehlt ihnen das Zutrauen und die Sicherheit, dass ihr Schmerz und ihre Selbstzweifel beim Gegenüber in guten Händen sind.“
(Petra Wagner)
Geschlecht und geschlechtliche Identität – warum ist das Thema im Hort wichtig?
In dem Themenkomplex Vielfalt ist die geschlechtliche Identität von Menschen eine Facette, die Häberlein besonders in den Blick nimmt. Mittlerweile gibt es viele Begriffe, die Geschlechtervielfalt und sexuelle Vielfalt aufzeigen. Wie ein Mensch auftritt, wie sich ein Mensch fühlt, wer sich in wen verliebt – all dies sind verschiedene Aspekte einer Person und ihrer Persönlichkeit, ihres „Seins“. Diese gelte es auseinanderzuhalten und von heteronormativen Stereotypen wegzukommen, so Häberlein.
Mit Stereotypen werden Kinder bereits früh konfrontiert und es bilden sich Vorurteile heraus. Die Referentin erläutert: „Wer kennt nicht „Rosa ist eine Mädchenfarbe“ oder „ein Spielzeugauto ist ein Jungenspielzeug“? Das heißt: Das Thema ist auch in Krippe und Kindergarten und im Elternhaus wichtig – aber das ist noch ein weiteres Feld. Im Hortalter bestehen zwar schon Vorurteile und vielleicht auch ein Schubladendenken – aber Kinder sind wissbegierig und in der Regel noch offen. Sie können von- und miteinander – ggf. gemeinsam mit den Erwachsenen – lernen“.
Kinder treffen jeden Tag auf binäre Geschlechterstereotype in Medien, im Fernsehen, in (Schul-) Büchern, bei Spielzeug und vor allem auch in Aussagen von Erwachsenen. Klischees werden reproduziert und schränken Kinder ein: z.B. „Jungen lesen nicht gerne“, „Mädchen spielen nicht Fußball“ usw.
Dabei ist die Welt der Kinder durchaus vielfältiger und sollte nicht durch diese Stereotype eingeschränkt werden.
„Intergeschlechtliche Kinder, transgeschlechtliche Kinder, Kinder die sich lesbisch, schwul oder bisexuell identifizieren bzw. identifiziert werden, die aus Regenbogenfamilien kommen oder einfach Kinder, die als nicht geschlechtsrollenkonform wahrgenommen werden, leiden besonders unter hierarchischen heteronormativen Barrieren, durch Ausgrenzung, Hänseleien oder Gewalt - alles Formen von Diskriminierung“, so Häberlein.
Was kann man konkret als Erwachsener tun? Was können die Kinder tun?
Carolin Häberlein stellte in ihrem Vortrag verschiedene Herangehensweisen für Erwachsene und Kinder vor. Ziel ist dabei die Wertschätzung und Anerkennung jeder Identität – egal welchen Geschlechts, welcher sozialen oder geographischen Herkunft, Behinderung oder Alter. Zuallererst ist für die Erwachsenen wichtig, sich weiterzubilden, sich zu informieren und sich selbst zu hinterfragen: Wo sind meine eigenen Privilegien, durch welche Brille schaue ich auf die Welt, welche Erfahrungen mit Diskriminierung habe ich beobachtet oder gemacht? Wie erkläre ich Ungleichbehandlungen oder Machtgefälle, wo diskriminiere ich selber – auch unabsichtlich?
Die Erwachsenen sollten als Individuen und auch als Team sensibel mit dem Thema Diversität umgehen und sprachfähig sein – das kann z.B. bedeuten, dass „Vielfalt als Chance“ in das Leitbild einer Einrichtung übernommen wird oder dass ggf. Räume gemeinsam mit den Kindern umgestaltet werden.
Im Alltag mit Kindern bedeutet das, individuelle Interessen und Fähigkeiten zu fördern, jenseits z.B. von Geschlechterklischees. Zum Beispiel indem die Bibliothek im Hort/ Ganztag mit Büchern zu Geschlechtervielfalt, Migration, vielfältigen Familienverhältnissen usw. ergänzt wird und indem über die Spielmaterialien reflektiert wird. So hat zum Beispiel eine Studie aus Regensburg ergeben, dass ein gemeinsamer geschlechtsneutral gestalteter Spielbereich (Reflexion der Räume) für alle Kinder zu Verhaltensänderungen geführt hat: Mädchen und Jungen spielten mehr miteinander, die sozial-emotionale Kompetenzen der Jungen und das räumliche Denken der Mädchen verbesserten sich.
Also kurz gesagt: Vielfalt - und unser Umgang damit - ist eine wichtige Ressource und Grundlage unserer Demokratie. Das sollten Kinder im Hort erleben. Hier können wir Unrechtsbewusstsein stärken und gemeinsam mit den Kindern Handlungsstrategien erarbeiten, die Kinder zu befähigen, sich gegen Diskriminierung einsetzen zu können.
Fazit
Der Vortrag hat gezeigt: Es ist wichtig, sich mit dem Thema Diversität zu befassen, denn:
- Diversität beschreibt, wertschätzt und akzeptiert Unterschiede von Menschen.
- Diversität muss als Normalität betrachtet und vermittelt werden: Jeder Mensch ist verschieden und jeder Mensch ist gleichermaßen wertvoll - ein Grundpfeiler für die (frühkindliche) Pädagogik
- Sensibilität für Geschlechterstereotype ist ein grundlegender Bestandteil pädagogischen Arbeitens. Damit Kinder entscheiden können, welchen Platz sie in der Gesellschaft einnehmen möchten, ist es wichtig, ihnen alle Türen zu öffnen. Dazu gehört eine geschlechtergerechte Sprache ebenso wie die bewusste Auswahl von Spielzeug oder die Gestaltung der Räume.
- Wenn Diskriminierung in der eigenen Einrichtung oder im Umfeld beobachtet wird, ist es wichtig, nicht zu schweigen – denn Schweigen impliziert Zustimmung. Besser ist es, ins Gespräch zu gehen und sich z.B. im Team oder mit Beratungsstellen auszutauschen.
- Alle Fachkräfte sollten zum Thema Diversität sprachfähig werden (z.B. durch Beratung und Fortbildung, Lesen/Hören von Fachbeiträgen, …) und die Risiken von Diskriminierung kennen. Dazu gehört auch die Reflexion der Gesellschaft sowie der eigenen Haltung: Welche Erklärungsmuster für Ungleichbehandlungen wurden erlernt (z.B. Stereotype, Macht und Hierarchien in der Gesellschaft) bzw. wie ist man selber aufgewachsen (Privilegien z.B. durch Elternhaus oder Herkunft)? Denn:
- Alle Menschen - und damit auch Kinder! - haben das gleiche Recht auf Wertschätzung, Teilhabe und Chancengerechtigkeit.
Monika Brinkmöller
Referentin für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit beim evKITA
Hier finden Sie die Präsentation des Vortrags zum Download
„Chancen der Diversität zur Gestaltung der Zukunft - Ein Blick über den Tellerrand mit Fokus auf Kinder im Hortalter“ Vortrag von Carolin Häberlein, Referentin für Fort- und Weiterbildung, Hort und Kooperativen Ganztag beim evKITA, auf der ConSozial 2023: „Innovation x Sozial. Miteinander nach vorn“