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Mehr Arbeitszufriedenheit durch geteilte Leitung

|   DurchblickAktuelles

Eine OECD-Studie zeigt: Unter der Konstellation geteilter Leitung kooperieren pädagogische Fachkräfte besser und weisen eine höhere Arbeitszufriedenheit auf. Ein Durchblick-Artikel von Christiane Münderlein zeigt, welche Modelle von geteilter Leitung es gibt und was bei der Einführung von geteilten Führungsmodellen zu beachten ist.

 

Mehr Arbeitszufriedenheit durch geteilte Leitung - Chancen und Herausforderungen neuer Führungsmodelle

 

Christiane Münderlein

Überraschende Aspekte zeigten sich am 30. November 2020 bei der Präsentation der Studie TALIS Starting Strong. Die OECD hatte Fachkräf te in Kitas befragt: Wie sieht ihr Alltag konkret aus? Womit sind sie zufrieden und wo sehen sie Weiterbildungs- oder Reformbedarf? Über 15.000 Fachkräfte und 3.000 Leitungskräfte in Kindertageseinrichtungen aus Deutschland, Chile, Dänemark, Island, Israel, Japan, Korea, Norwegen und der Türkei haben an der Befragung teilgenommen. Neben einer guten Aus- und Weiterbildung, einer angemessenen Bezahlung und gesellschaftlichen Anerkennung stand die Leitung im Fokus der Aufmerksamkeit. OECD-Direktor Andreas Schleicher berichtete, dass unter der Konstellation geteilter Leitung pädagogische Fachkräfte besser kooperieren und eine höhere Arbeitszufriedenheit aufweisen.

Aktuelle Studien weisen immer deutlicher darauf hin, dass ein wesentlicher Faktor für Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter*innen in Rolle und Ausführung von Leitung liegen (OECD, 2020; Dumdum, Low, Avolio, 2002; Schreyer, 2014). Bereits seit Langem ist klar, dass positive Führungseigenschaften zu einer höheren Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten führen (Dumdum, Low, Avolio, 2002) - auch im deutschen Kitakontext (Schreyer, 2014). Gute Leitungen können über das Motivieren ihrer Mitarbeiter*innen nicht nur die Zufriedenheit, sondern auch die Bindung an den Arbeitsplatz fördern. „Entscheidend für die Zufriedenheit sind unter anderem Mitbestimmungsmöglichkeiten: Pädagogische Fachkräfte, die von ihren Leitungen in wichtige Entscheidungen einbezogen werden, geben mit mindestens doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit an, mit ihrer Arbeit zufrieden zu sein.“ (OECD, 2020)

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Während frühere Studien meist die persönlichen Führungseigenschaften der einzelnen Person in den Mittelpunkt stellen, gehen aktuelle Untersuchungen davon aus, dass Komplexität und Herausforderungen nicht mehr von einer Person, sondern nur durch ein gutes Zusammenspiel eines Führungsteams zu bewerkstelligen sind (Endres und Weibler, 2019). Nachdem es jahrelang ebenso in deutschen Unternehmen wie in deutschen Kitas hieß, dass Leitungsstellen nicht teilbar sind, werden nun neue Führungsmodelle mit unterschiedlichen Formen geteilter Leitung empfohlen (ebd.).

Neben der Verbesserung der Arbeitszufriedenheit werden drei weitere Begründungsstränge für Teilung von Leitung genannt: (1) Verteilung von Macht, (2) Teilzeitführung als attraktive Personalentwicklungsmaßnahme, (3) Herausforderungen durch zunehmende Komplexität und Agilität.

Unterschiedliche Modelle geteilter Leitung

Unter geteilter Leitung werden äußerst unterschiedliche Mo- delle verstanden. Die häufigsten Modelle sind:

Hybride Tandems

Hybride Führungstandems bestehen aus zwei Personen mit unterschiedlicher Profession, in der Regel auch auf unterschiedlichen Positionen, aber auf der gleichen Hierarchieebene, zum Beispiel medizinische und Verwaltungsleitung eines Krankenhauses oder die pädagogische und betriebswirtschaftliche Geschäftsführung einer Kita-gGmBH.

Mixed Leadership

Aktuell in der Öffentlichkeit wahrgenommene Modelle von gemeinsamer Leitung weisen sich durch einen geschlechtsspezifischen Faktor aus. Sie sind meist explizit als Frau- Mann-Duo konstruiert. Moderne Unternehmen sehen die Chance und verstehen es, weibliche und männliche Stärken gleichermaßen zu nutzen (Weber et al., 2016, S. 295), wobei natürlich sowohl Frauen als auch Männer unterschiedliche Anteile an sogenannten weiblichen und männlichen Kompetenzen haben.

Topsharing

Eine besondere Form stellen die Führungsmodelle in „Teilzeit“ dar. „Topsharing“ ist dabei der modernste Begriff, eine sogenannte Wortneuschöpfung aus „Top“ für Topmanagement und „Jobsharing“ für das Teilen einer Stelle (vgl. Kuark, 2003). Dabei kann es sich um klassische Teilzeit oder einfach auch um zwei Personen handeln, die sich aus Gründen von Umfang, Komplexität oder aus strategischen Gründen wie einer Fusion „eine“ Stelle/Position teilen.

Plural Leadership

Unter Plural Leadership wird die Verteilung von Führung auf zwei Personen bis hin zu einer geteilten Führung mit mehreren Mitgliedern einer Organisation verstanden. In der Kita könnte ein solches Führungsteam beispielsweise aus Kindergarten-, Krippen- und Hortleitung bestehen, oder/und es könnten die Sprachfachkraft, die Praxisanleitung und der*die Beauftragte für religionspädagogische Arbeit ins Führungsteam berufen werden.

Insgesamt lässt sich zu allen geteilten Führungsmodellen sagen, dass neben Vorteilen auf der individuellen Ebene, mehr Arbeits- und Lebensqualität, insbesondere auf Leistungs- und Effektivitätssteigerungen von Teams und Organisationen liegen (Forschungssynopse aus 26 Studien, Endres und Weibler, 2019). Allerdings birgt geteilte Leitung auch die Gefahr, dass die Komplexität durch die kollektiven Prozesse noch weiter zunimmt (Münderlein, 2021). Bei einer Entscheidung für ein Führungsmodell mit geteilter Leitung sind Vor- und Nachteile abzuwägen. Eine nachhaltige Entfaltung des positiven Potenzials von geteilter Leitung hängt jedoch maßgeblich von der Art und Weise der Einführung ab (ebd.)

Was ist bei derEinführung und Umsetzung von geteilten Führungsmodellen zu beachten?

Folgende Aspekte sind im Vorfeld der Einführung und während der Implementierung eines geteilten Leitungsmodells zu berücksichtigen (vgl. Münderlein, 2021):

  • Ziele und beabsichtigten Mehrwert des neuen Führungsmodells entwickeln
    Ziele und Vorstellungen, die mit einer geteilten Leitung verbunden werden, haben einen wesentlichen Anteil an der späteren Funktion des Führungsmodells. Insbesondere über den erhofften Mehrwert für die Organisation und die beteiligten Führungskräfte sollte offen gesprochen und reflektiert werden.
     
  • Organisationskultur auf Offenheit beziehungsweise Verän derungsbereitschaft überprüfen
    Vor der Veränderung einer Führungsstruktur sind die Bereitschaft und Offenheit der Kita, ihrer Organisation und ihrer Kultur für neue Führungsbilder - weg von der alleinigen Führungsspitze - zu prüfen und zu entwickeln. Hilfreiche Fragen zur Organisationskultur: Welche Normen und Standards liegen in der Organisation vor? Versteht man sich eher als Familie oder in professioneller Distanz? Welche Bilder von Führung sind damit verbunden? Wird Führung als Organisationsfunktion gesehen, oder wird sie individualisiert? Ist eine Abkehr von der alleinigen Leitung zu orchestraler Führung denkbar und wenn ja auf welchen Führungsebenen? Wie viel Entwicklungsraum wird den Mitarbeiter*innen zugebilligt? Wie werden Entscheidungen getroffen, partizipativ oder autoritär? Herrscht Wettbewerb oder Kooperation in der Organisation? Über welche Themen darf nicht gesprochen werden?
     
  • Mehrwert durch gemeinsame Handlungsfelder und individuelle Aufgaben entwickeln
    Gemeinsame Handlungsfelder und Aufgabenteilung des Führungsteams können zum Beispiel in einem Geschäftsverteilungsplan beschrieben und mit entsprechenden Kompetenzanforderungen für die Personalauswahl formuliert werden.
     
  • Auswahl der Führungskräfte
    Bei der Auswahl der Führungskräfte sind Aspekte wie Komplementarität von Ausbildungshintergründen, Kompetenzen der Zusammenarbeit sowie erforderliche psychische Basisfähigkeiten gleichermaßen zu beachten.
     
  • Entwicklung eines gemeinsamen Führungsbilds
    Bei gelingenden Führungsteams geht es nicht um die Teilung oder Multiplizierung von Leitungsstellen, sondern um ein grundlegend anders gelagertes Führungsverständnis (vgl. Endres und Weibler, 2019). Dieses umfasst nicht nur das Führungsteam, sondern auch die Gesamtorganisation und impliziert eine Vertrauenskultur.
     
  • Kommunikation des Führungsmodells
    Ziele des Führungsmodells und gewollte Unterschiede, die Diversität des Duos oder Teams werden nach innen und außen kommuniziert.
     
  • Besprechungs- und Reflexionszeiten
    Es werden regelmäßige Besprechungszeiten implementiert, in denen neben strategischen und fachlichen Absprachen die Reflexion der Zusammenarbeit ein steter Punkt auf der Tagesordnung ist.
     
  • Monatliche Supervision/Coaching des Führungstandems
    Im ersten Jahr der Zusammenarbeit sollte ein monatliches gemeinsames Coaching des Führungstandems wahrgenommen werden. Auch Einzelcoachings können zur Bearbeitung persönlicher Themen der Führungskräfte sinnvoll sein.
     
  • Aufgabenklarheit und Rollenflexibilität - neue Muster der Zusammenarbeit entwickeln, Sicherheit und Dynamik ausbalancieren
    Aufgabenklarheit und komplementäres Agieren sind grundsätzlich zu fördern und gleichzeitig daraufhin zu prüfen, inwieweit entstandene Muster zu einer Erstarrung und Rollenfestlegung führen. Es gilt, eine flexible und dynamische Zusammenarbeit zu entwickeln, um die im Führungsteam angelegte Agilität zu fördern und Wachstumsprozesse sowohl für das Individuum als auch für die Organisation zu ermöglichen. Asynchrone Entwicklungen und Rollenstarrheit werden dadurch vermieden.
     
  • Führungstandems als Übertragungsfiguren - Gegenübertragungen untersuchen
    Führungskräfte werden generell häufig wie Elternteile wahrgenommen, und ihre Macht wird aufgrund der Übertragung überschätzt (Giernalczyk und Möller, 2018, S. 34). Führungstandems, insbesondere gemischtgeschlechtliche, ziehen noch häufiger Übertragungen und Projektionen von ihren Mitarbeiter*innen auf sich. Das regelmäßige Innehalten und Reflektieren der Gegenübertragung (Was habe ich gedacht und gefühlt? Welche Bilder und Handlungsimpulse sind aufgetaucht?) hilft, mit den herangetragenen Emotionen besser umzugehen (ebd., S. 35). Innerhalb des Führungstandems kann es auch zu „Geschwisterübertragungen“ kommen, die ebenso zu reflektieren sind.
     
  • In triadischen Beziehungen orientieren – Triangulierung verstehen und nutzen
    Der Einfluss von „Dritten“ ist eine der größten Herausforderungen für Führungstandems. Führungsteams sollten die Zusammenarbeit mit Mitarbeiter*innen, Eltern, Kirchenvorstand und anderen stets reflektieren und Spaltungstendenzen entschieden entgegenwirken.
     
  • Selbstwirksamkeit des Führungsteams erhöhen
    Selbstwirksamkeit gilt als Schlüsselwirkstoff für gelingendes Führungshandeln. Zum Beispiel wirken gemeinsame Aktivitäten, das explizite Benennen gemeinsamer Erfolge oder Ähnliches stärkend auf das gemeinsame Führungshandeln.
     
  • Selbstreflexion als Voraussetzung für das Gelingen
    Neben den individuellen Herausforderungen, denen Menschen in einer sich ständig ändernden Arbeitswelt ausgesetzt sind, kommen die erhöhte Dynamik und Konfliktanfälligkeit eines Führungsteams und die damit verbundenen Spiegelungsphänomene aus Organisation und Umfeld hinzu. Die regelmäßige Reflexion des Erlebens und Handelns ist sowohl auf der individuellen Ebene als auch auf der Ebene des Führungsteams notwendig.

Fazit

Der Befund der OECD-Studie gibt Anlass, erneut über die positiven Effekte geteilter Leitung nachzudenken, ohne die herausfordernden Aspekte außer Acht zu lassen. Es ist nicht für jede Kita, jede kirchliche oder diakonische Organisation passend, aber es kann für wachsende, wissensbasierte und agile Unternehmen deutliche Vorteile bringen. Ein Führungsmodell, das nicht auf eine alleinige Leitung setzt, birgt Herausforderungen, die eine offene Auseinandersetzung, hohe kommunikative Kompetenzen und persönliche Reife der Führungskräfte erfordern. Die Gelingensfaktoren weisen darauf hin, dass Führung beziehungsbezogener wird und sich Ambiguitäten sowie Komplexität besser bewältigen lassen. Gesteigerte Problemlösungsstrategien und gegenseitige Kompetenzergänzungen weisen für Führungskräfte, Mitarbeiter*innen und die Gesamtorganisation positive Effekte auf und können somit ein innovatives Führungsmodell darstellen, das Leitungsstellen attraktiv macht und Mitarbeiter*innen bei einer hohen Arbeitszufriedenheit an die Organisation bindet.


Literatur

Ameln, F. v. (2018). Führung und Beratung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Endres, S., & Weibler, J. (2019). Plural Leadership: Eine zukunftsweisende Alternative zur One-Man-Show. Berlin, Heidelberg: Springer.

Dumdum, U. R., Low, K. B., & Avolio, B. J. (2002). A meta-analysis of transformational and transactional leadership correlates of effectiveness and satisfaction: An update and extension. In B. J. Avolio & F. Yammarino (Eds.), Transformational and charismatic leadership: The road ahead (Vol. 2 of Monographs in Leadership and Management; pp. 35–66). St. Louis, MO: Elsevier.

Giernalczyk, T., & Möller, H. (2018). Entwicklungsraum: Psychodynamische Beratung in Organisationen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Münderlein, C. (2021). Doppelspitzen: Notlösung, Heilsbringer oder innovatives Führungsmodell? Coaching für gelingende Führungstandems. Organisationsberat Superv Coach 28, 255–272, doi.org/10.1007/s11 613–021–00 698–4.

OECD (2020). Building a High-Quality Early Childhood Education and Care Workforce: Further Results from the Starting Strong Survey 2018, TALIS, OECD Publishing, Paris, doi.org/10.1787/b90bba3 d-en.

Schreyer, I., Krause, M., Brandl, M. & Nicko, O. (2014). AQUA - Arbeitsplatz und Qualität in Kitas. Ergebnisse einer bundesweiten Befragung. München: Staatsinstitut für Frühpädagogik.

 

Christiane Münderlein
Vorständin Bildung und Sozials beim Evangelischen KITA-Verband Bayern


Der Beitrag ist im Durchblick 2021 erschienen. 
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