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evKITA-Vorstände: "Arbeiten in der Kita – Viel mehr als Betreuung"

|   BeratungPädagogische PraxisAktuelles

Anlässlich der Take-Care-Aktionswoche sprach die evKITA-Redaktion mit Christiane Münderlein, Vorständin Bildung und Soziales, und Dirk Rumpff, Vorstand Recht und Finanzen beim Evangelischen KITA-Verband Bayern über das Arbeitsfeld Kita.

Im Zuge der Corona-Pandemie wurde viel über die fehlende Kinder­betreuung gesprochen. Wie hat sich durch Corona der Blick auf die Kitas verändert?

Münderlein: Als im März 2021 das öffentliche Leben heruntergefahren wurde und die Betretungs­verbote für Kitas ausgesprochen wurden, hat sich das Leben für Millionen von Menschen von einem Tag auf den anderen verändert. Durch Corona wurde die Bedeutung der Kitas – und damit meine ich Krippen, Kindergärten und Horte – für unsere Gesellschaft wie durch ein Brennglas deutlich.

Die Mitarbeitenden in den Kitas haben im letzten Jahr alles Erdenkliche getan, um den Betrieb in den Kitas am Laufen zu halten und um Kindern und Eltern sowie dem Anspruch der Gesellschaft gerecht zu werden. Die Corona-Pandemie hat uns allen nicht nur die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Kitas bewusstgemacht, sie hat außerdem gezeigt, mit welch hoher Professionalität und Kreativität die pädagogischen Fachkräfte diese Situation bisher gemeistert haben und immer noch meistern.

 

Gibt es Kitas, die besser durch die Krise gekommen sind als andere?

Münderlein: Kitas, die gut durch den Träger begleitet wurden, die eine gute Leitung haben, die einen Blick auf die Führungsarbeit hat und die auch die zeitlichen Ressourcen hat, Teams zu führen und zu leiten, sind mit der Corona-Situation besser zurechtgekommen als andere. Sie waren in der Situation zwar auch gestresst, aber sie haben immer wieder auf Ressourcen zurückgreifen können und waren nicht auf sich selbst gestellt.

Unterstützung hilft häufig dabei, Krisen gut zu überstehen. Wir haben den Kitas unterschiedliche Angebote gemacht. Fortbildungen, die wir online angeboten haben, wurden sehr gut angenommen. Und unsere Mitgliedseinrichtungen konnten sich bei allen Fragen an ihre Fachberatungen und Pädagogischen Qualitätsbegleitungen wenden.

Rumpff: Darüber hinaus ist es aber auch wichtig, dass eine Kita gut vernetzt ist und auf verschiedene Kooperationspartner – wie Landratsämter oder Gesundheitsämter – zurückgreifen kann.

Für unsere Mitglieder war auch hilfreich, dass wir als Verband durch Teilnahme an offiziellen Gremien immer wieder zeitnah über neue Regelungen informieren konnten und dass wir auch als Bindeglied zwischen Praxis und Politik vermitteln konnten. (vgl. Erstattung der Elternbeiträge)

 

An welchen Stellen wird denn die gesamtgesellschaftliche Relevanz deutlich?

Rumpff: Die Coronakrise hat uns deutlich gezeigt, wie wichtig der Bereich Bildung, Erziehung und Betreuung für die gesamtwirtschaftliche Lage ist. Durch die Frage nach der Systemrelevanz hat sich gezeigt, dass die Berufe mit der größten Bedeutung für die Gesellschaft häufig in weniger gut bezahlten und wenig angesehenen Branchen angesiedelt sind: von Lebensmittelverkäufer*innen über Pflegekräfte bis hin zu Kita-Mitarbeitenden. Durch die Corona-Pandemie wurde mit einem Mal gesehen, dass unsere Wirtschaft praktisch zum Erliegen kommt, wenn Kitas geschlossen sind.
Im Jahr 2020 betrug die Betreuungsquote der Drei- bis unter Sechsjährigen in Bayern 92,3 Prozent. Von den Kindern unter drei Jahren werden 28,5 Prozent in einer Kita oder in der Tagespflege betreut. Allein diese Zahlen verdeutlichen die gesellschaftliche Bedeutung und auch die gesamtwirtschaftliche Relevanz der Kita-Branche.

Aber die Kitas sind ja nicht für die Wirtschaft, sondern in der Hauptsache für die Kinder da. Für Kinder ist es wichtig, mit anderen Kindern zu spielen. Verschiedene Studien belegen die enorme Bedeutung der frühkindlichen Bildung, nicht nur für die Bildungschancen, sondern auch für die späteren Chancen im Berufsleben und für die gesellschaftliche Teilhabe. 

Der Nutzen eines Euro, den der Staat in die frühkindliche Bildung investiert, ist deutlich höher als bei einem Euro, der in Grundschulen oder weiterführende Schulen fließt, so stand es kürzlich in einem Artikel in der Zeit.[1]

 

Erzieher*in gilt ja heutzutage als Mangelberuf und Träger haben oft Schwierigkeiten, Stellen zu besetzen. Wie kann man denn Menschen für den Beruf gewinnen?

Rumpff: Kitas gehören zu den größten Wachstumsbranchen Deutschlands. Bundesweit arbeiten rund 675.650 pädagogische und leitend Tätige in Kindertageseinrichtungen. Das geht aus dem Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2021 hervor. Zahlenmäßig befinden wir uns damit fast in der gleichen Höhe wie die allgemeinbildenden Schulen (Schuljahr 2019/20 rund 693.750 Lehrkräfte). Allerdings ist der Personalbedarf nach wie vor hoch und Erzieherin/Erzieher wurde von der Bundesagentur für Arbeit als „Engpassberuf“ eingestuft. Bis 2023 werden laut dem Bayerischen Sozialministerium weitere 29.400 Fach- und Ergänzungskräfte benötigt.

Münderlein: Viele Träger haben massiv in Personalgewinnung und Ausbildung investiert. Aber wir brauchen dringend adäquate Maßnahmen in Ausbildung und Umschulung - Studienplätze an den Hochschulen und die praxisintegrierte Ausbildung müssen weiter ausgebaut und attraktive Umschulungen für Quereinsteiger entwickelt werden.

Aber die Personalgewinnung ist ja nur eine Seite, man muss die Leute auch halten. Die große Fluktuation in den Einrichtungen ist problematisch. Gut ist, wenn Teams längerfristig zusammenbleiben, und so auch die Möglichkeit haben, schwierige Themen anzugehen.

 

Wie kann ich Fachkräfte halten und sie motivieren, sich auch mit widrigen Situationen auseinanderzusetzen und daran zu wachsen?

Münderlein: Dafür braucht es eine gute Leitung und gute Trägerschaft, die sich der Herausforderungen bewusst sind und die Ressourcen zur Verfügung stellen.

Es sind in den letzten Jahren viele Initiativen für die Fachkräftegewinnung und Akademisierung im Kita-Bereich angestoßen worden. Dazu gehören auch viele neue Studiengänge, die die Mitarbeit in einer Kita ermöglichen oder mit denen sich Kita-Mitarbeitende weiterqualifizieren können.

 

Was kann man tun, damit die akademisierten Fachkräfte vor Ort bleiben und nicht in andere Arbeitsbereiche abwandern?

Rumpff: Hier ist sicher noch Kreativität gefragt und ggf. ein Überdenken der Bezahlung und die Entwicklung neuer Aufgabenbereiche bei Trägern, wie Bereichsleitungen oder ähnliches.

81% der Erzieherinnen empfinden zu wenig Gehalt als Belastung und sieben von zehn Erzieherinnen sehen sich durch zu wenig Anerkennung belastet[2]. Dies geht aus einem aktuellen Papier des DIW hervor. Diese Einschätzungen können auch dazu beitragen, dass qualifizierte Mitarbeitende das Arbeitsfeld Kita wieder verlassen.

 

Während der Corona-Zeit wurde immer von „NotBETREUUNG“ gesprochen – aber Kitas sind doch eigentlich mehr als nur ein Ort, an dem Kinder verwahrt werden?

Münderlein: Ja, Kitas sind ein Bildungsort. Wir sprechen ja auch normalerweise von der Frühen Bildung oder frühkindlichen Bildung. Durch den Begriff Notbetreuung wurde nur noch auf die Betreuung geschaut und wie man Kinder unterbringen kann, damit die Eltern arbeiten können.

Rumpff: Es hat sich in der Corona­krise nochmal deutlich gezeigt, dass die Bildungsungerechtigkeit groß wird, wenn Kinder nicht in die Kita können – vor allem, wenn sozioökonomisch benachteiligte Kinder nicht in die Kita können. Die Kita ist ja der erste Bildungsort nach der Familie – oder schon parallel zur Familie, wenn Kinder in die Krippe gehen.

Münderlein: Dabei sollten wir uns nochmal bewusstmachen, was Bildung heißt. Wir benutzen den Begriff nicht nur im Sinne von „Förderung“. Also es geht nicht darum, dass Kinder schon lesen, schreiben und rechnen können, wenn sie in die Schule kommen. Es geht darum, dass Kinder ein Bewusstsein ihrer selbst entwickeln und dafür braucht es Interaktion. Ich muss mit den Kindern sprechen! Ich brauche nicht unbedingt Programme, um Sprachförderung zu betreiben, sondern ich muss mit den Kindern sprechen und in der Kindergruppe Sprachanlässe unterstützen. Das ist fast unmöglich, wenn eine Fachkraft mit 20 Kindern alleine ist.

Bildung heißt im frühkindlichen Bereich, dass grundlegende Fähigkeiten sich entwickeln können – wie ein Selbstwirksamkeitsgefühl oder die Möglichkeit teilzuhaben oder sich selbst bewusst zu werden. Das sind die Basiskompetenzen, die wir den Kindern in der frühen Zeit mitgeben müssen. Wir geben Kindern das Grundzeug mit, um – und da sind wir bei Demokratiebildung – sich als Teil der Gesellschaft zu erkennen. Dafür braucht es Menschen, die sich ihrer selbst bewusst sind, ihrer Entscheidungen, die wissen, ich muss mich einbringen, wenn ich etwas zu sagen habe. Wie ich das mache, lerne ich in der Krippe, in der Kita, im Hort. Und dafür ist es wichtig, dass mir als Kind Fachkräfte gegenüberstehen, die mir sagen: „Es ist mir wichtig, was du sagst, ich bin neugierig auf das, was du mir sagst“

 

Das stellt ja hohe Anforderungen an die Professionalität der Fachkräfte. Was müssen denn Kita-Mitarbeitende und solche, die es werden wollen, mitbringen?

Münderlein: Für die Bildungsarbeit brauchen wir fachlich professionalisierte, motivierte Menschen in den Kitas.

Diese große Professionalität ist nicht nur auf die individuellen, persönlichen Stärken der einzelnen Menschen zurückzuführen. Die Ausbildung zum Erzieher bzw. zur Erzieherin ist herausfordernd und anspruchsvoll. Es wird fundiertes Wissen aus vielen verschiedenen Bereichen vermittelt: Psychologie, Pädagogik, Verwaltung, Gesprächsführung, Ernährungswissenschaft, musikalische Früherziehung, Rechtswissen u.v.m. Die Weiterqualifizierung zur Kita-Leitung beinhaltet klassische Führungs- und Managementaufgaben: Personalführung und -entwicklung, Budgetverwaltung, Krisenmanagement, Konzeptionsentwicklung, Öffentlichkeitsarbeit u.m.

Für eine gute Bildungsarbeit brauchen wir Fachkräfte, die reflektieren, die sich weiterbilden. Und wir brauchen genügend Personal – auch damit sich Fachkräfte weiterentwickeln und auf Fortbildungen gehen können, ohne dass es vor Ort zu einem Personalengpass kommt. Das heißt, die Strukturen müssen so geschaffen werden, dass sowohl Bildung als auch Betreuung möglich sind.

 

Braucht es für die Arbeit in der Kita eine spezielle Grundhaltung?

Münderlein: Ja, Kita-Mitarbeitende brauchen die Grundhaltung, den Menschen, der mir gegenübersteht – ob er groß oder klein ist – als autonomes Wesen, als autonomen Menschen wahrzunehmen, der eigene Interessen hat. Die Fachkraft, die neugierig darauf schaut: Was sagt denn dieser kleine Mensch. Eine Grundhaltung, jedem Kind zu zeigen: Du bist mir wichtig und du interessierst mich. Das ist eigentlich eine Persönlichkeitseinstellung, aber die muss auch in der Ausbildung – sei sie an der Fachakademie oder an der Universität – mit fachlichen Themen verknüpft werden.

Auch Teil der Grundhaltung ist es, die eigene Arbeit zu reflektieren. Jeder macht Fehler, und wenn wir mit Menschen arbeiten, fordert uns das immer wieder heraus. Aber eine pädagogische Fachkraft muss Fehler erkennen oder reflektieren. Das muss in die Grundhaltung übergehen und dafür muss auch Zeit sein.

Es muss Zeit sein, um sich selber zu reflektieren, um mit Kolleg*innen oder im Team darüber zu sprechen oder auch um externe Beratung hinzuzuziehen – ob es jetzt Supervision, Coaching, PQB oder Fachberatung ist. Diese Zeit muss eingeplant werden und sie darf nicht auf Kosten der Arbeit mit den Kindern gehen.

 

Ist der Beruf also viel komplexer als man oft annimmt?

Münderlein: Ja, da ist zum einen das körperliche Wohl – da sprechen wir von Betreuung. Da geht es zunächst um die trockene Windel, ein gesundes Mittagessen und ausreichend Ruhe- und Schlafmöglichkeiten. Das hat scheinbar noch wenig mit Bildung zu tun. Da muss man ein zweites Fenster öffnen – und das ist unter anderem mit Professionalisierung gemeint – und im Blick haben, wie dieses leibliche Wohl mit Bildungsprozessen und Bildungsmöglichkeiten verbunden ist. Also das Bewusstsein, dass Alltagssituationen wie Wickeln oder gemeinsames Essen zu sehr wertvollen Bildungsprozessen werden können. Dafür braucht es einen geschulten Blick und immer wieder die Reflektion dieser Prozesse: „Welche Bedürfnisse zeigt das Kind gerade, an welchen Lernmöglichkeiten ist es interessiert? Ist beispielsweise das Quängeln ein Zeichen, dass das Kind neue Lernangebote braucht oder ist es eher ein Zeichen von Überforderung. Braucht das Kind erstmal Ruhe und die Zuwendung der Erzieherin, bevor es wieder neu seine Lernwelt entdecken kann.

Für diesen professionellen Zugang braucht es schon in der Ausbildung die Verknüpfung der theoretischen Konstrukte mit einem Training der Beobachtungsfähigkeit und einer hohen Reflexion der Persönlichkeit und Haltung der Fachkräfte.

Also es braucht professionelle Aus- und Weiterbildung, es braucht genügend Personal, es braucht Unterstützung und es braucht Menschen, die Interesse haben und neugierig sind.

 

Noch ein ganz anderes Thema: Haben Kitas auch eine Bedeutung für den Sozialraum?

Rumpff: Ja, das ist eine weitere wichtige Facette von Kitas. Hier begegnen sich Menschen.

Ein Schwerpunkt der Take-Care-Woche ist das Thema Demokratiebildung und soziale Teilhabemöglichkeit. In dem Zusammenhang kann man den Sozialraumaspekt der Kita nochmal in den Blick nehmen. Kitas können zum Beispiel Begegnungsmöglichkeiten für Eltern bieten, die sich gegenseitig unterstützen. Es gibt gute Beispiele von Kitas, die das praktizieren – wo Eltern die Möglichkeit haben, ins Gespräch zu kommen, wo es Tauschbörsen gibt oder wo Menschen vor Ort Kontakte knüpfen können. Oder wo in der Kita Bildungsangebote für Eltern gemacht werden.

Den Sozialraum mitzugestalten, kann ein weiterer Aspekt des Berufsfeldes sein. Aber das kann von den Kitas nicht noch „on Top“ gemacht werden, sondern da braucht man jemanden, der auch die Zeit hat, die Perspektive der Eltern mit in den Blick zu nehmen, jemanden, der das organisiert, und die Kita muss sich bewusstmachen: Welche Zielsetzung haben wir dabei? Gerade durch Corona hat sich gezeigt, dass es Menschen gibt, die durch das Raster fallen. Hier ist es vielleicht gut, niedrigschwellige Begegnungsmöglichkeiten zu bieten.

Das könnte man auch sehr gut mit einer Kirchengemeinde gemeinsam gestalten.

 

Soziale Berufe – immer für andere da sein? Ist man da nicht schnell ausgebrannt?

Münderlein: Take Care bedeutet nicht nur, sich um andere zu kümmern, sondern auch, sich gut um sich selbst zu kümmern. Wir alle müssen uns die Frage stellen: Wo passe ich selber auch auf mich auf? Welche Möglichkeiten habe ich, mich zurückzuziehen und wieder zu Kräften zu kommen? Was brauche ich im Alltag, wo habe ich einen Anker?

Rumpff: Der Beruf ist schon so: Man hat immer den Blick auf die anderen und schaut, ob es denen gut geht. Aber man muss den Blick auch immer nach innen richten und schauen, dass es einem selbst gut geht. Nur dann kann man sich auch um die anderen kümmern.

Unterstützung für KITAs und ihre Träger

Der Evangelische KITA-Verband Bayern unterstützt evangelische Kindertageseinrichtungen und ihre Träger im Auftrag von Kirche und Diakonie durch

Beratung

  • Fachberatung und Pädagogische Qualitätsbegleitung individuell und vor Ort
  • für ca. 1.450 Einrichtungen in Bayern mit rund 92.000 Plätzen
  • zu pädagogischen, organisatorischen und strukturellen Themen.

Fort- und Weiterbildung

  • Jährlich über 300 Fort- und Weiterbildungsangebote sowie
    Inhouse-Fortbildungen
  • für mehr als 5.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer
  • zu den Themen: Religion und Glaube, Pädagogische Praxis, Führen und (An)leiten, Arbeitsorganisation, Betriebswirtschaft und Recht

Interessenvertretung

  • gegenüber Entscheidungsträgern in Kirche und Politik und in der Öffentlichkeit
  • in Gremien von Staat, Kirche und Freier Wohlfahrt

 

Hier finden Sie das komplette Interview als pdf-Datei zum Download. 

  

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