..... Frühe Bildung 2019 hat es sehr deutlich vor Augen geführt: Die Kita gehört zu den größten Wachstumsbranchen Deutschlands. „Sie stellt bundesweit eine der wichtigsten und spannendsten Transformationen im Sozial- und Bildungswesen dar“, so der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Jugendinstituts (DJI), Prof. Dr. Thomas Rauschenbach. In Bayern ist die Zahl der Fachkräfte seit 2006 von 55.034 auf 113.955 (+95 %) gestiegen. Damit ist Bayern nach Baden-Württemberg das Land mit dem meisten Zuwachs an Fachkräften.
Angesichts dieser Zahlen wird man durchaus ehrfürchtig. Wie konnte das alles gelingen? Wo kommen die neuen Fachkräfte her? Wie sieht es mit der Qualität aus? Schon mal vorweg: An vielen Orten ist dies einem beherzten, engagierten und professionellen Zupacken von Kommunalpolitiker*innen, Trägervertretungen, Ausbildungsstellen und Einrichtungsleitungen sowieinsbesondere dem täglichen Einsatz der pädagogischen Fachkräfte zu verdanken. Dauerhaft ist dies aber nicht durch übermäßiges Engagement zu gewährleisten.
Der Trend setzt sich fort
Trotz der enormen Ausbauzahlen fehlen auch im Jahr 2019 an vielen Orten in Bayern Kitaplätze, von der Krippe bis zum Hort. Sowohl die steigende Geburtenrate als auch weiterer Zuzug werden weiter neue Einrichtungen und damit mehr Fachkräfte nötig machen. Das Sozialministerium hat für Bayern bis 2023 einen zusätzlichen Fachkräftebedarf von 30.000 Mitarbeiter*innen berechnet. Die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab 2025 wird den Bedarf nochmals deutlich verschärfen, insbesondere in den Ballungszentren. Das DJI geht bis 2025 bundesweit von einem Bedarf an 300.000 zusätzlichen Fachkräften aus.
Stellschrauben für Fachkräftegewinnung Die Ausbildung an Fachakademien für Sozialpädagogik hat ihre Kapazitäten deutlich ausgebaut, sie hat trotz zurückgehender Zahlen an Schulabgänger*innen weiter hohen Zulauf. Insgesamt ist das Ausbildungsvolumen an Berufsfachschulen, Fachakademien und Hochschulen bundesweit um 64 % gestiegen. Es ist also nicht so, dass die Ausbildung nicht attraktiv ist, sondern Wachstum und Bedarf sind so enorm. Eine weitere Steigerung in der traditionellen Ausbildung und damit auch in den traditionellen Zielgruppen – junge Frauen mit mittlerem Schulabschluss – ist jedoch nicht zu erwarten. Zum einen machen mittlerweile bis zu 70 % eines Jahrgangs (Fach-) Abitur, zum anderen ist trotz aller Bemühungen der Männeranteil in der klassischen Ausbildung nach wie vor gering.
- Ausbau von Studienplätzen
Es braucht also mehr attraktive Ausbildungs- und Studienplätze. Während an den Fachakademien, in der klassischen Ausbildung, geeignete Bewerber*innen gute Chancen haben, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, sieht es an den Hochschulen ganz anders aus. Zum Beispiel gibt es an der Evangelischen Hochschule Nürnberg eine fünffach höhere Bewerberzahl. Der Numerus clausus im Fach Sozialwesen/Soziale Arbeit liegt bundesweit durchschnittlich bei 2,2. Viele durchaus qualifizierte Bewerber*innen mit einer Abiturnote ab 2,3 müssen abgelehnt werden. Würde es sich im IT-Bereich um ein ähnliches Missverhältnis von Fachkräftebedarf und Studienplätzen handeln, wären diese auf Druck der Wirtschaft voraussichtlich längst erweitert. Diese Anstrengungen brauchen wir auch in der Sozial- und Kindheitspädagogik. Sozialministerin Schreyer hat sich auf Initiative des evKITA bereits ans Wissenschaftsministerium gewandt. Erste Gespräche mit den Hochschulen haben stattgefunden. Der Akademisierungsgrad hat sich in den Kitas seit 2006 von 3 % auf 6 % erhöht. Mehr akademisierte Fachkräfte könnten gerade aber aufgrund der weiter steigenden Anforderungen in den Kitas für Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite ein Gewinn sein.
- Ausbildungsunterstützung für Träger
Darüber hinaus scheint der Einstieg in bezahlte, praxisintegrierte Ausbildung weiteran Attraktivität zuzunehmen. Neben Abiturient*innen können hier zunehmend auch Quereinsteiger*innen gewonnen werden, eine wesentliche und immer wichtigerwerdende Zielgruppe neben den Schulabgänger*innen. Die Finanzierung der Optiprax-Praktikumsstellen sowie Qualifizierung und Freistellung der Anleitungen stellen jedoch viele Träger vor Herausforderungen. Die Fachkräfteoffensive auf Bundesebene erreicht zu wenige Träger, und dies nur zeitlich befristet. Der evKITA fordert mehr Ausbildungsunterstützung für Träger und attraktive Umschulungsmöglichkeiten für Quereinsteiger*innen.
- Modelle für Quereinsteiger*innen und Maßnahmen der Umschulung
Kitas werden immer mehr Orte eines multiprofessionellen Miteinanders. Durch Aufgabenzuwachs wie Inklusion und lange Betreuungszeiten kann es durchaus ein Gewinn sein, nicht nur Pädagog*innen, sondern auch Absolvent*innen anderer grundständiger Berufe wie zum Beispiel Ergotherpeut*innen und Musikpädagog*innen für das Arbeitsfeld zu gewinnen. Nicht jedes Teammitglied muss für jeden Bildungsbereich kompetent sein, sondern ein Teammitglied kann für einen ausgewählten Bildungsbereich in besonderem Maße seine Gaben einbringen. Im Einsatz unterschiedlicher Professionen greifen dann bestenfallsunterschiedliche Kompetenzen ineinander. Der evKITA weitet seine Qualifizierungsmöglichkeiten in diesem Bereich aus. Nebenden Weiterbildungen von Ergänzungskräften zu Fachkräften bieten wir – sofern unser Projektantrag vom Ministerium bewilligt wird – speziell für Menschen mit einer anderen Berufsausbildung eine Weiterbildung zur Fachkraft mit besonderer Qualifikation an. Mit der 15-monatigen Weiterbildung Fachkraft mit besonderer Qualifikation in Kindertageseinrichtungen soll Personal außerhalb traditioneller pädagogischer Berufe gewonnen und ins System sowie in die Teams der Kindertageseinrichtungen integriert werden. Weitere Informationen dazu finden Sie auf der Homepage des StMAS und auf der evKITA-Homepage.
Herausforderung von Kitas als stark wachsende Organisationen
Nicht nur die Zahl der Mitarbeiter*innen, auch Einrichtungsformen, Trägerstrukturenund neue pädagogische Konzepte wachsen schnell und erfolgreich – doch wie lange geht es einfach so weiter? Die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter*innen steigt stetig an und Konflikte nehmen zu. Dies sindwomöglich Zeichen einer Wachstumskrise und sie stellen in der Regel eine normale Entwicklung dar, die jedes Unternehmen mit Wachstumszahlen wie die Kitas erfasst. Doch die Situation erfordert ein aktives Handeln.
- Bedeutung der Leitung, Professionalisierung der Führung
„In Organisationen, die schnell wachsen, kommt es häufig zu einem Mangel an Führungskräften.Durch hohen Arbeitsdruck werden Führungspositionen häufig schnell und ohne Vorbereitung besetzt. Oftmals sind die neuen Führungskräfte noch recht jung, haben wenig Führungserfahrung und werden vom Unternehmen nicht zur Führungskraft ausgebildet. Sie müssen sehen, wie sie zurechtkommen. Dabei sind ihnen die Anforderungen an Führungskräfte oft nicht richtig klar; Kompetenzen und Verantwortlichkeiten wurden ebenfalls nicht geklärt. Dazu kommt, dass die Führungskraft häufig selber nicht richtig geführt wird, denn der Fokus des Unternehmens liegt auf dem Wachstum und der Bewältigung des damit verbundenen Stresses. Das führt dazu, dass Mitarbeiter wegen mangelnder oder falscher Führung frustriert sind. Die Stimmung im Unternehmen sinkt. Dadurch, dass die Führung schlecht besetzt ist, werden viele Probleme nicht angegangen und die Situation der Mitarbeiter und des Unternehmens verschlechtert sich weiter“, so beschreibt es die Literatur (Grätsch/Knebel, Hamburg 2017).
Der erste Schritt sollte sein, die Situation zu analysieren: Inwieweit sind die Aufgaben von Kita-Leitung, Trägerverantwortlichem, Verwaltung und gegebenenfalls Geschäftsführungen noch passend geregelt? Werden sie ihrer Führungsaufgabe gerecht? Mithilfe der Einschätzung ihrer Fähigkeiten und ihres Entwicklungspotenzials kann ein Entwicklungsplan erstellt werden, der die Führungskräfte dabei unterstützt, ihre Anforderungen zu erfüllen.
In Zeiten schnellen Wachstums wird häufig zu wenig Zeit und Energie für Fachberatung, Fortbildung, Supervision und Coaching aufgewendet.
- Aufrechterhaltung der positiven Organisationskultur
Es ist ein allgemeines Phänomen bei schnell wachsenden Unternehmen: Ist die Kita neu und sind die Mitarbeiter*innen noch in der anfänglichen Aufbruchsstimmung, dann herrscht oft eine innovative, lebendige Unternehmenskultur, voller Inspiration und Lust, etwas zu gestalten. Man kommuniziert viel miteinander,der Teamgeist ist stark, man arbeitet Hand in Hand. Wenn das Unternehmen wächst, mehr Fachkräftehinzukommen, lässt meist der Draht der einzelnen Mitarbeiter*innen zur primären Organisationsaufgabe „einer guten, kind- und familiengerechten Kita“ nach. Regeln, Struktur und schriftliche Konzepte halten in dieser Phase ihren Einzug und die offene, innovative, spannende Kultur – nah anden Bedürfnissen von Kindern und Eltern zu sein – geht verloren. Das Unternehmen verliert an Besonderheit und wird einem normalen großen Unternehmen oder einem Konzern immer ähnlicher. Die Identifikation derMitarbeiter*innen mit dem Unternehmen sinkt.
Die Kita beziehungsweise der Trägerverbund müssen bei schnell wachsenden Teams darauf achten, dass jede einzelne Führungskraft die innovative, motivierende Kultur in ihrem Team aufrechterhält. Dazu braucht es einen starken Zusammenhalt der Führung in der Organisation und ein Bewusstsein fürdie Wichtigkeit dieses Themas. Die Führung sollte aktiv eingebunden werden, häufige Dialoge mit den Mitarbeiter*innen zum Thema Kultur und Miteinander zu führen und sich für die Kultur auch verantwortlich zu fühlen. Entsprechende Weiterbildungen im Bereich Leitung und Management sowie begleitendes Coaching unterstützen diese Prozesse.
- Finden von Strukturen, die der jeweiligen Kitagröße gerecht werden und Wachstum ermöglichen
Wächst ein Unternehmen, so kann es leicht passieren, dass die Strukturen nicht mitwachsen. Oft sind Strukturen organisch gewachsen. Jedoch kann es durchaus sein, dass diese Strukturen das Wachstum und die Qualität der Arbeit nicht unterstützen. Ab einem gewissen Zeitpunkt sind sie nicht mehr sinnvoll und effizient, sondern leisten Wildwuchs Vorschub.
Um die passenden Strukturen zu finden, sollte man sich zwei Fragen stellen:
- Wenn man die Kitas in ihrer jetzigen Größe auf der grünen Wiese neu bauen würde, wie würde man das tun? Wie sollten dann die Strukturen aussehen? Oftmals sind bestehende Strukturen um Personen, Familien oder Notwendigkeiten herum gewachsen. Würde man das Unternehmen neu und planvoll konstruieren, so würde man die Strukturen meist keineswegs mehr so gestalten, wie sie organisch entstanden sind.
- Sind die Strukturen darauf ausgerichtet, weiter flexibel den sich verändernden Bedarfen von Kindern und Familien gerecht zu werden? Bleibt der Kita-Träger auch weiterhin in der Lage, seine Angebote oder Dienstleistungen in guter Qualität anzubieten? Beim Finden der richtigen Struktur sollte man weitere Flexibilitäthinsichtlich Wachstum oder auch Weiterentwicklung des Angebots, wie zum Beispiel ein Mittagstisch für Kinder und Senior*innen, gleich mitdenken.
- Auswahl und Einarbeitung von Mitarbeiter*innen
ächst ein Unternehmen, so wächst auch das Arbeitsvolumen. Um Abhilfe zu schaffen, werden oft schnell und unkompliziert neue Mitarbeiter*innen eingestellt. Dabei bleiben eine gründliche Auswahl und Einarbeitung meist aufder Strecke. Oft können neue Mitarbeiter*innen ihr Potenzial daher gar nicht entfalten. Falls in Ihrer Organisation einstige Hoffnungsträger schlecht performen oder noch in der Probezeit die Kita wieder verlassen, ist dies ein Signal, unbedingt näher hinzuschauen. Viele Fachkräfte verlassen das Arbeitsfeld bereits in den ersten beiden Berufsjahren. Hier ist es gerade wichtig, den Berufseinstieg gut zu begleiten – durch eine gezielte Einarbeitung, aber auch durch externe Maßnahmen wie zum Beispiel das evKITA-Einsteigerprogramm „Durchstarten“ und Supervision im ersten Jahr.
Deutlich wird aus obigen Ausführungen, dass das Arbeitsfeld Kita alleine aufgrund des Wachstums ein hochkomplexes System geworden ist. Neben der Gewinnung von Fachkräften sind insbesondere die Personal- und Organisationsentwicklung der Einrichtungbeziehungsweise des Verbunds von zentraler Bedeutung. Dabei geht es nicht darum, fertige Lösungen zu haben oder immer mehr Fach- und Leitungskräfte einzustellen.
Auch die Beschreibung von Prozessen und Abläufen hilft meist nicht weiter. Es geht vielmehr darum, Lern- und Entwicklungsräume anzubieten, um mit den Mitarbeiter*innen gemeinsame Lösungen zu entwickeln. Aktuelle Studien zeigen derzeit deutlich auf, dass die Arbeitszufriedenheit im Wesentlichen vom Sinngehalt und von den Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeit abhängen.
Hier liegt eine große Chance der Kitas. Trotz oder gerade wegen des Wachstums ist auf die Stärken der Mitarbeiter*innen zu setzen, auf Tugenden, die in anderen Branchen gerade mühsam implementiertwerden: Kreativität und Flexibilität, Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit sowie Anerkennung und Wertschätzung. Kitas sind bereits agile Unternehmen, sie müssen es nicht nochwerden. Aber sie brauchen die Unterstützung des Trägers und eine Leitung, die diese Gestaltungsräume moderiert. Der evKITA wird Sie bei all den Herausforderungen durch Beratung und Fortbildung bestmöglich unterstützen.
Christiane Münderlein
ist Vorständin Bildung und Soziales beim Evangelischen KITA-Verband Bayern.